Materielles Strafrecht in der Praxis
In der Praxis bereitet das sog. materielle Strafrecht nicht die großen Probleme. Insbesondere bei erstinstanzlichen Prozessen vor dem Landgericht, in dem in der Regel drei Berufsrichter mitwirken (im Gegensatz zu dem amtsgerichtlichen Strafprozess, in dem nur ein Berufsrichter mitwirkt) und an der Urteilsfindung beteiligt sind, ist es zwar nicht ausgeschlossen, dass sich Fehler bei der rechtlichen Würdigung eines Verhaltens einschleichen, das Risiko ist aber weitestgehend minimiert, vor allem dann, wenn der Bundesgerichtshof, als oberste Instanz, bereits grundlegende und leitende Entscheidungen getroffen hat.
Was ist Strafprozess?
Weitaus wichtiger und problematischer in der Praxis ist der Strafprozess. Dabei handelt es sich um das streng geregelte Verfahren der Feststellung, ob eine bestimmte Person eine bestimmte Handlung vorgenommen und ggf. einen bestimmten Erfolg erreicht hat, mithin genauer, ob der Angeklagte, das ihm vorgeworfene strafbare Verhalten an den Tag gelegt hat oder nicht. Hierüber wird in der Praxis oft heftig gestritten. Es handelt sich um einen dynamischen Prozess, der bestimmten geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen folgt.
Die zentrale und wichtigste Grundlage des Strafprozesses ist die Strafprozessordnung (StPO). Sie bindet die öffentliche Gewalt (Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht) bei der Ermittlung und Aufklärung von Straftaten.
Ziele des Strafprozesses
Der Strafprozess verfolgt in erster Linie das Ziel der Wahrheitsfindung. Wie ist es wirklich gewesen? Das will das Gericht herausfinden. Es gilt das Prinzip der Ermittlung der materiellen Wahrheit. In der Praxis gelingt dies fast nie; dies hat seinen Grund unter anderem darin, dass das Gesetz die Erforschung der materiellen Wahrheit um jeden Preis verbietet. Insoweit wird der Prozess von der Rechtsstaatlichkeitsmaxime beherrscht: Nur das gesetzlich, genauer rechtliche Erlaubte darf erlangt und verwertet werden. Der Strafprozess ist gelebtes Verfassungsrecht.
Schließlich verfolgt der Strafprozess das Ziel Rechtsfrieden zwischen den Beteiligten herzustellen. In der Praxis eine oft auch nicht verwirklichte Illusion.
Prozessmaximen
Der Strafprozess wird durch verschiedene Prozessgrundsätze beherrscht, über deren Geltung die Beteiligten grundsätzlich nicht disponieren dürfen. Dies sind die folgenden sog. Prozessmaximen:
- Offizialprinzip: Die Staatsanwaltschaft hat das Anklagemonopol. In § 152 Absatz 1 StPO heißt es: „Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen.“
- Akkusationsprizip: Eine Straftat darf nur insoweit gerichtlich untersucht werden, soweit die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat. Eine historische Abkehr vom Inquisitionsverfahren.
- Legalitätsprinzip: Die Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, sobald zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat sprechen.
- Amtsermittlungsgrundsatz: Ist eine Straftat angeklagt, so hat das Gericht die Untersuchung von Amts wegen auf alle relevanten Beweismittel zu erstrecken, unabhängig davon, ob die Staatsanwaltschaft oder Verteidigung diese beibringt. Hier liegt ein bedeutender Unterschied zum anglo-amerikanischen Parteienprozess.
- Unmittelbarkeitsgrundsatz: Alle für die Entscheidung relevanten Tatsachen müssen unmittelbar durch das Gericht festgestellt werden. Das bedeutet unter anderem, dass grundsätzlich alle Beweise in der Hauptverhandlung unmittelbar durch das Gericht wahrgenommen werden müssen. Eine Verlesung von früheren Zeugenaussagen scheidet daher grundsätzlich aus.
- Mündlichkeitsprinzip: Es gilt nur das, was in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragen worden ist.
- Öffentlichkeitsprinzip: Die Hauptverhandlung ist grundsätzlich öffentlich.