Warum der Strafgerichtssaal ein gefährlicher Ort ist

Der Strafprozess

Der Strafprozess ist nichts für weiche Gemüter. Während im Zivilrecht die Parteien ihre tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen in Schriftsätzen dem Gericht vorab präsentieren und Beweis anbieten und die mündliche Verhandlung lediglich dem mündlichen Austausch der Beteiligten über das bereits gegenseitig vorgetragene dient, spielt im Strafrecht die Musik in der Hauptverhandlung. Ein Zeuge kann plötzlich eine ganz andere Version schildern. Ein Schöffe kann plötzlich eine flappsige Bemerkung machen, die zu Befangenheitsanträgen seitens der Verfahrensbeteiligten führt. Ein Verteidiger kann die berühmte Frage zu viel stellen.

Kurzum: während der Hauptverhandlung (so wird die strafrechtliche mündliche Verhandlung juristisch korrekt bezeichnet) kann vieles passieren, worauf sich die verschiedenen Teilnehmer nur bedingt vorbereiten können.

Das führt dazu, dass bei allen Beteiligten, auch bei uns erfahrenen Strafverteidigern, die x-tausende von Hauptverhandlungen mitgemacht haben, vor jeder Hauptverhandlung eine gewisse Anspannung vorhanden ist.

Es gibt jedoch auch Begebenheiten, die unverändert in nahezu jeder Strafsache vorkommen. Diese Begebenheiten machen vor allem dem Angeklagten und seinem Verteidiger das Leben schwer. Jedenfalls schwerer als unbedingt nötig.

Die Richter

Der deutsche Strafrichter ist systembedingt befangen. Er kann nichts dafür. Oft bemerkt er das nicht einmal selbst. Die Strafprozessordnung sieht vor, dass der Richter bzw. das Gericht in einem – der strafrechtlichen Hauptverhandlung – vorgelagterten Verfahren zu entscheiden hat, ob eine Verurteilungen des Angeklagten eher wahrscheinlicher ist als ein Freispruch. Dieses Verfahren nennt sich Zwischenverfahren und ist im Regelfall ein Verfahren, in dem rein nach Aktenlage entschieden wird. Die Aktenlage besteht zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen aus den seitens der Staatsanwaltschaft zusammengetragenen, im Regelfall belastenden Materialien. Das Gesetz gibt dem Richter in diesem Stadium die Aufgabe, zu entscheiden, ob er rein nach Aktenlage eine Verurteilung des Angeklagten für mehr als 50 % wahrscheinlich hält. Die meisten Zwischenverfahren enden mit der Eröffnung des Hauptverfahrens. Nur in seltenen Fällen, lehnt das Gericht die Verfahrenseröffnung ab bzw. fordert die Staatsanwaltschaft auf, ihre Anklage nachzubessern.

Der Inertia-Effekt

Das wäre nun alles nicht so schlimm, wenn in der Hauptverhandlung ein anderes Gericht über die Schuld- und Straffrage zu befinden hätte. Das Gegenteil ist aber der Fall. Im Regelfall entscheiden dieselben Richter, die über die Eröffnung des Verfahrens befunden haben, auch über die Schuld- und Straffrage am Ende der Hauptverhandlung. Es ist wissenschaftlich anerkannt, dass Menschen dazu neigen, einmal getroffene Entscheidungen auch gegen den zugrundegelegten Tatsachen widersprechende Informationen zu verteidigen. In der Psychologie ist von dem sog. Interia Effekt die Rede. Dabei werden die eigene These bestätigende Informationen über- und ihr widersprechende Informationen unterbewertet.

Die fatalen Folgen dieser Erkenntnis für den Prozess der Wahrheitsfindung und insbesondere für den unschuldigen Angeklagten liegen auf der Hand.

Das Protokoll und die Revision

Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass alles, was Angeklagte, Zeugen und Sachverständige vor Gericht aussagen, in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommen wird. Bei den Strafkammern des Landgerichts und vor den Senaten des Oberlandesgerichtes ist genau das Gegenteil der Fall: das Protokoll gibt nur die wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens wieder. Wer ein Protokoll mal in den Händen gehalten hat, findet Sätze wie: „Der Zeuge sagte zur Sache aus“ oder „Der Angeklagte ließ sich ein“. Was gesagt worden ist, steht nicht im Protokoll.

Die Richter und die übrigen Verfahrensbeteiligten fertigen parallel zur Aussage Mitschriften an – per Hand. Es erfolgt keine Videoaufnahme oder ein Tonbandmitschnitt in der Hauptverhandlung. Modernste Technick wird nicht ansatzweise eingesetzt. Im 21. Jahrhundert ein unhaltbarer Zustand. Zur Grundlage der Urteilsberatung und des Urteils wird das, was sich die Richter notiert haben, und zwar so wie sie es notiert haben. Im Regelfall muss sich das nicht mit dem decken, was Zeugen und Sachverständige gesagt haben. Die Richter haben somit auf der einen Seite, selbst wenn sie gutwillig sind, das Problem, dass die Güte ihrer Mitschrift am Ende einer langwierigen Beweisaufnahme, die sich über zig Verhandlungstage und mehrere Monate oder Jahre erstrecken kann, auch über die Fundiertheit ihrer Urteilsgrundlage entscheidet. Ferner haben sie es, wenn sie böswillig sind, in der Hand, für den Angeklagten entlastende Aussagen, wegzulassen oder zu relativieren. Wenn die Strafkammer dem Revisionsgericht den falschen Film vorführen möchte, kann sie das regelmäßig problemlos tun. Dieser Umstand macht den Gerichtssaal für den Angeklagten zu einem gefährlichen Ort.

Die Revision

Der vor der Strafkammer des Landgerichts oder von einem Oberlandesgericht verurteilte Angeklagte hat gegen das Urteil nur das Rechtsmittel der Revision zur Verfügung. Die Revision zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass das Revisionsgericht keine tatsächlichen Feststellungen trifft, sondern die Feststellungen des Erstgerichts zu akzeptieren hat. Somit findet nur die Prüfung statt, ob das Gericht das materielle oder formelle Recht verletzt hat. Letzteres aber nur auf den strengen Formvorschriften entsprechende ausdrückliche Rüge hin, an der die meisten Revisionen schon scheitern. Die Revision kann daher nur in seltenen Fällen, in denen bereits in der ersten Instanz die Weichen für eine erfolgreiche Revision gestellt worden sind, ein falsches Urteil korrigierendes Instrument sein.

 

Die Suche nach der Wahrheit

Der Strafrichter sucht nach der materiellen Wahrheit und findet seine Überzeugung. Der Strafprozess wird zwar von der Maxime der materiellen Wahrheit geprägt. Für die Urteilsbegründung reicht aber die Überzeugung des Richters aus. Dabei müssen seine Schlüsse, die er gezogen hat, noch nicht einmal sich aufdrängen oder nachvollziehbar sein, sondern es genügt, wenn die gezogenen Schlüsse sich als möglich erweisen und nicht gegen Natur- oder Denkgesetze verstoßen. Das ist weites Feld. Die sog. Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters und sie ist revisionsrechtlich so gut wie nicht überprüfbar.

Im Zusammenspiel mit dem oben beschriebenen Phänomen Inertia-Effekt und der Tatsache, dass das Protokoll der Hauptverhandlung nur ein Förmlichkeitenprotokoll ist, ist dies ein fataler Umstand für den Angeklagten, der deutschen Strafgerichtssal für ihn zu einem äußert gefährlichen Ort macht.

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